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Seid getrost

Bis vor Pfingsten beherrschte die öffentliche Wahrnehmung nur das eine Thema: der Corona-Virus. Dann haben jedoch die dramatischen Ereignisse in den USA, ausgelöst vom Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeiwillkür, ein neue dramatische Entwicklung in Gang gesetzt. Eigentlich geht es da ja nun um inhaltlich ganz andere Dinge, aber in vielen Fällen sind in der Berichterstattung die dabei verwendeten Sprachbilder auffällig gleich geblieben. Statt Corona heißt der Virus nun Rassismus, und über ihn wird gesprochen wie über eine Krankheit. Von einer „Rassismus-Pandemie“ sprach beispielsweise Sandra Shullman, die Präsidentin der Amerikanischen Psychologischen Vereinigung. Entsprechend folgten auch viele Fragestellungen dem gleichen, von der Corona-Pandemie her bekannten Dreischritt: Was ist passiert, wie konnte es dazu kommen, und wenn nichts mehr so ist wie zuvor, wie wird es weitergehen? Selbst das Verhalten von Teilen der Öffentlichkeit ist gleich geblieben, allenfalls veränderten sich die Plakataufschriften. Ging man noch an den vorausgehenden Samstagen in Stuttgart zur Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße, so protestierte man nun am vergangenen Samstag zur gleichen Zeit, am gleichen Ort gegen weltweiten Rassismus. Immerhin, und das ist das Positive, waren hier die Teilnehmerzahlen sehr viel größer, die wegen Corona geforderten Abstände jedoch leider gleich, nämlich viel zu gering, aber das störte offensichtlich nicht weiter. „Corona war gestern, Rassismus ist heute“, rief ein Demonstrant ohne Mundschutz ins Mikrophon eines Journalisten.

Diese Sicht ist natürlich auf fatale Weise falsch, aber wie ist dieser fast nahtlose Übergang von Corona zur neuen Thematik gerade auch bei uns zu verstehen? Berechtigterweise wollen viele Menschen ihre Solidarität zeigen. Aber spielt womöglich die nun monatelang sich hinziehende innere Belagerung durch Corona auch eine Rolle? Der Kampf gegen einen abstrakten Virus bleibt unberechenbar. Ein Virus ist auch nicht haftbar zu machen. Er ist weder gut noch böse. Das macht uns Angst. Ein Kampf gegen Rassismus, um dessen Gegenwart auch in Deutschland wir schon lange wissen, der verläuft dagegen sichtbar, da haben alle Beteiligte Namen, da meinen wir genau zu „wissen“, wer die Bösen und wer die Guten sind. Da ist man nicht mehr zu weitgehender Passivität verurteilt, sondern nun kann man endlich wieder aktiv werden. Man kann anklagen, kann Gerechtigkeit fordern, kann protestieren. Und wenn man sich nicht gerade mit der Polizei anlegt, dann bleibt auch alles im schmerz- und folgenlosen Rahmen, anders als augenblicklich in den USA. Wir hier in Deutschland können es uns leisten, angstfrei zornig zu sein. Beim Virus dagegen erübrigt sich jeglicher Zorn, aber dafür bleibt uns ein mulmiges Gefühl, weil wir nie wissen, wie nahe er uns wirklich ist. Wenn das so wäre, dann geht es im Augenblick nicht nur, aber eben auch um Formen des Umgangs mit „Angst“.


Der Mensch und seine Angst. Angst kann Menschen demütig machen, unter Umständen aber auch aggressiv. Angst lässt sich zwischendurch verdrängen, aber sie kommt wieder. Man kann jedoch auch lernen, mit seiner Angst umzugehen. Man kann Angst mit jemandem teilen, aber das geht nur, wenn man seinem Gegenüber vertrauen kann und weiß: er lässt mich nicht im Stich. Und genau das ist ein zentrales Thema unseres Glaubens und somit unseres Gottvertrauens. Können wir uns in unserer Angst auf Gott verlassen? Während aber nun Angst vor den Ungewissheiten der Zukunft die Menschen weltweit umhertreibt und zu wortreichen Erklärungen und Lösungsvorschlägen führt, reduziert sich das entsprechende Angebot der heutigen Tageslosung auf gerade einmal einen ziemlich banalen Satz:

„Das Mehl im Krug ging nicht aus, und der Ölkrug wurde nicht leer, nach dem Wort des Herrn, das dieser durch Elia gesprochen hatte.“ (1. Kö 17,16).

 

Dieser Vers aus 1. Könige 17 ist dringend erklärungsbedürftig, denn er ist Teil einer längeren Erzählung. Während einer langen Dürre- und Hungerzeit quartiert sich der vor König Ahab flüchtende Prophet Elia in der Stadt Zarpat bei einer armen Witwe und ihrem Sohn ein. Mutter und Sohn sehen freilich vor lauter Hunger keine Zukunft mehr und wollen nur noch eins - sterben. Elia hält dagegen. Zunächst lenkt er sie von ihrem Vorhaben ab, indem er einen Arbeitsauftrag erteilt. Die Mutter soll ihm vom letzten Mehl noch etwas backen und dann auch für sich selbst und ihren Sohn. Denn, so ri

Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden.“


Die Frau vertraut dem Wort und dessen Überbringer und in der Tat: „Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er durch Elia geredet hatte.“ Nochmals wird dann das Vertrauen der Witwe in Gottes Versprechen auf die Probe gestellt. Ihr Sohn stirbt nach einer schweren Erkrankung, prompt auch noch an einer Lungenkrankheit, und die Mutter zweifelt erneut an Gottes guten Absichten. Ihre Lebensangst kehrt zurück. Auf Elias Bitten jedoch gibt Gott dem Sohn sein Leben zurück. Ende gut, alles gut also. Ein Außenstehender wird nun vielleicht gelangweilt auf diese kleine Geschichte schauen und sich ob ihrer scheinbaren Schlichtheit kopfschüttelnd abwenden. Aber gerade diese anscheinend „kleinen“ Geschichten, die ja keine historischen Tagesmeldungen sein wollen, sie liegen wie ein großer bunter Teppich über der ganzen Bibel. Sie berichten alle von dieser einzigartigen Erfahrung, den viele Menschen gemacht haben, die sich von Gott haben finden lassen: Wir stehen nicht alleine, auch nicht in entbehrungsreichen Zeiten oder wenn unser Leben nicht mehr lebenswert erscheint. Wir dürfen Angst haben, das gehört zum Menschsein dazu, aber es gilt auch an dem festzuhalten, was Jesus uns versprochen hat:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

 

In Ängsten, aber dennoch getrost – das macht den Kopf frei zu Denken und Handeln gerade jetzt in schwierigen Zeiten. Amen.


Ein Gebet gegen die Angst.
Wir beten mit Worten aus dem „Gebet für Mitgefangene“, das Dietrich Bonhoeffer Weihnachten 1943 formuliert hat:

 

„Gott, zu Dir rufe ich in der Frühe des Tages,
Hilf mir beten
und meine Gedanken sammeln zu Dir;
ich kann es nicht allein.


In mir ist es finster,
aber bei Dir ist das Licht;
ich bin einsam, aber Du verläßt mich nicht;
ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe;
ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede;
in mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;
ich verstehe Deine Wege nicht, aber
Du weißt den Weg für mich.

Vater im Himmel,
Lob und Dank sei Dir für alle Deine Güte
und Treue in meinem vergangenen Leben.
Du hast mir viel Gutes erwiesen,
lass mich auch das Schwere
aus Deiner Hand hinnehmen.
Du wirst mir nicht mehr auflegen;
als ich tragen kann.
Du läßt Deinen Kindern alle Dinge zum
Besten dienen.
Dein Name sei gelobt!
Amen.

 

von Studentenpfarrer Tilman M. Schröder, 10. Juni 2020